Die 10 bemerkenswertesten Inszenierungen werden jedes Jahr von einer Kritiker*innenjury aus bis zu 600 Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum innerhalb des Sichtungszeitraums ausgewählt und zum Theatertreffen eingeladen. Initiativbewerbungen sind nicht möglich, da die Jury unabhängig entscheidet, welche Produktionen sie besucht und gegebenenfalls für eine Einladung zum Theatertreffen nominiert.
Die zum Theatertreffen 2025 eingeladenen Inszenierungen verhandeln unsere herausfordernde Gegenwart mit verschiedensten ästhetischen Mitteln und Inhalten, allesamt sind sie das Abbild einer verunsichernden Zeit.
Die ausgewählten Inszenierungen werden im Mai im Haus der Berliner Festspiele und an anderen Orten der Stadt gezeigt. Sie werden von Nachtgesprächen mit Publikum begleitet.
Seit der Gründung des Theatertreffens 1964 – damals noch „Berliner Theaterwettbewerb“ – stellen diese zehn Inszenierungen das Zentrum des Theatertreffens dar, und eine Einladung zum Theatertreffen ist für die entsprechenden Produktionsteams mit überregionaler Anerkennung verbunden.
Mit der Festivalausgabe 2020 führte das Theatertreffen eine Frauenquote von mindestens 50 Prozent in der Regieposition der 10 bemerkenswertesten Inszenierungen ein. Diese Regelung gilt vorerst bis einschließlich 2026.
Kontakt
Theatertreffen
Berliner Festspiele Schaperstraße 24 D-10719Berlin
von Alice Birch nach Federico García Lorca
Übersetzt von Ulrike Syha
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg
Acht Jahre Trauer hat Bernarda Alba, der Tradition entsprechend, nach dem Tod ihres Mannes angeordnet: Das Verbot, das Haus zu verlassen, entfacht ein gefährliches Geflecht aus Eifersucht, unterdrücktem Begehren und Gewalt zwischen den Frauen des Hauses. Zwar erhalten Männer keinen Zutritt und haben überhaupt im Stück kein einziges Wort zu sagen. Dennoch sind es alte, patriarchale Strukturen, die Bernarda tyrannisch durchsetzt und gegen die sich ihre Töchter auflehnen. Die Bühne, ein puppenhausartiger Querschnitt des Hauses, wirkt dabei wie ein Gefängnis, in dem unter bedrohlicher Klangkulisse virtuos Worte und Gesten ineinandergreifen. Mitchells packende, präzise choreografierte Inszenierung, in der sie das kunstvolle Kompositionsprinzip der simultanen Parallelmontage weiterentwickelt, und das starke Ensemble lassen das Geschehen in komplexen Zeit- und Raumsprüngen lebendig werden und dabei das Heute immer mitschwingen.
Statement der Jury:
Bernarda Alba ist erbarmungslos, und Katie Mitchells Inszenierung ist es ebenfalls. Kaum ist der Vater beerdigt, sperrt Bernarda Alba ihre fünf Töchter ein. Sie schottet sie ab von der Welt mit ihren Begierden und ihrem Hunger nach Leben. So schrieb es der spanische Autor Federico García Lorca im Jahre 1936. Die britische Dramatikerin Alice Birch hat aus der Tragödie eine provokante Neufassung erstellt, die Mitchell als hermetischen Albtraum inszeniert. In dem gefängnisartigen Bühnenhaus von Alex Eales erzählen elf äußerst präzise Spielerinnen von patriarchaler Herrschaft genauso wie vom häuslichen Matriarchat, von Aberglaube, Eifersucht, Missbrauch und Schmerz. Genau getimte Parallelmontagen, ineinander collagierte Dialoge und exakt choreografierte Zeitlupenszenen machen diesen Abend zu einem grandiosen, multisensorisch herausfordernden Gesamtkunstwerk. Eine spektakuläre Inszenierung und eine erschütternde Parabel über das Wechselspiel von Unterdrückung, Macht und Gewalt.
Die letzte gemeinsame Arbeit von René Pollesch und Fabian Hinrichs erzählt klug von der Tragik und Absurdität des aktuellen Zustands der Welt und ihrer Bewohner*innen. In seinem beeindruckenden Solo spielt Hinrichs einen unter vielen – und ist doch ganz und gar einzigartig.
Kurz vor seinem plötzlichen Tod im Februar 2024 zeigte René Pollesch noch einmal eindrücklich, warum er zu den bedeutendsten Akteuren des Gegenwartstheaters gehörte. In „ja nichts ist ok“ wird eine Berliner Zweck-WG zum Brennglas auf Krisen der Gegenwart. Co-Autor und Schauspieler Fabian Hinrichs stellt dabei humor- und hingebungsvoll alle anwesenden Mitbewohner*innen dar, die sich über Unordnung in der Wohnung und Kriege in der Welt streiten. In den umständlichen Figurenwechseln und absurden Dialogen zwischen politischen Spannungen und persönlichen Unzulänglichkeiten blitzt die Zerrissenheit des Menschen des 21. Jahrhunderts durch, die tiefe Ratlosigkeit angesichts multipler Krisen und die Sehnsucht nach einer wirklichen Begegnung. Trotz dieser eher düsteren Themen haben Pollesch und Hinrichs einen berührenden und unterhaltsamen Abend geschaffen, der keine Antworten auf existenzielle Fragen liefert, aber nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Statement der Jury:
Der traurigste Theaterabend des vergangenen Jahres, ein jäher Abbruch und ein Vermächtnis: Der viel zu frühe Tod von René Pollesch ist von dieser, seiner letzten Arbeit nicht mehr zu trennen. Aber „ja nichts ist ok“ bildet auch abseits der bitteren Umstände einen Höhepunkt im langen gemeinsamen Schaffen von Pollesch und seinem Verbündeten Fabian Hinrichs. Dieser spielt sich in einer WG ohne anwesende Mitbewohner*innen wortwörtlich entzwei, während über die Fernseher Bilder vom Krieg flackern. „Ist es ein Verbrechen, fröhlich zu sein?“, fragt er einmal, und in Momenten wie diesen scheinen sich die unauflösbaren Widersprüche unserer Zeit auszukristallisieren wie selten im Theater. Hyperreflektierter Weltschmerz weitet sich bis an den Rand des Absurden. Am Ende werden der Hauptdarsteller und mit ihm Autor und Text unter den warmen Körpern von Statist*innen begraben. Ein Schluss bloß und doch ein Abschied, gemacht aus Umarmungen.
Text: René Pollesch
Uraufführung: 11.2.2024
volksbuehne.berlin
Termine
Sa 3.5.2025, 19:30 | Ticket
So 4.5.2025, 19:30 | Ticket
Roman von Kim de l’Horizon
in einer Fassung von Jan Friedrich
Theater Magdeburg
Als die Großmutter – oder Großmeer, wie Autor*in Kim de l’Horizon sie auf Schwyzertütsch nennt – an Demenz erkrankt, sieht sich die nicht-binäre Erzählfigur Kim mit der eigenen Familiengeschichte konfrontiert. Im Prozess des Schreibens taucht Kim tief in die eigene Vergangenheit ein und sucht einen Weg aus dem Schweigen der Mutter und Großmutter hin zur eigenen Identität und Körperlichkeit. Die vielfältige Stilistik des mit dem Deutschen und Schweizer Buchpreis ausgezeichneten Romans übersetzt Jan Friedrich in eine ebenso facettenreiche Bühnensprache, die sich linearen Erzählstrukturen widersetzt und dennoch Text und Bild zu einer Einheit verschmelzen lässt. Emotional berührende Live-Videos und Spielszenen werden mit ausgeklügelten Sprachsounds verwoben. Aus diesem Mosaik entsteht eine persönliche Geschichte, die gleichzeitig vom Aufbegehren gegen die Zwänge gesellschaftlicher Normierung erzählt.
Statement der Jury:
Mit großer Dringlichkeit bringen Jan Friedrich und sein Team die queere Befreiungsgeschichte von Kim de l’Horizon auf die Bühne. Das zeigt sich in jedem poetisch-zarten, witzigen, märchenhaft-poppigen und brutalen Detail dieser multimedialen Inszenierung. Sie nimmt den preisgekrönten Roman beim Wort und schafft dennoch eine ganz eigene Welt. Das Magdeburger „Blutbuch“ findet für jedes Kapitel, jede literarische Tonart und jedes Gefühl überraschende Bilder, ohne je die Erzählung aus den Augen zu verlieren. Die Gratwanderung gelingt, weil sich die sieben großartigen Spieler*innen auch in Beziehung setzen zur schonungslosen Selbst- und Gesellschaftsbefragung und zur großen Sehnsucht nach Zugehörigkeit der multiplen Buch- und Bühnen-Kims. Ein Abend über non-binäre Identitäten, der eine Spielart des non-binären Erzählens vorschlägt. Und einer über Traumata, Schmerzen und Vorurteile, die wir alle von unseren Vorfahren erben. Bildstark, kämpferisch und Glückshormone freisetzend.
Regie und Kostüm: Jan Friedrich
Premiere: 27.1.2024
theater-magdeburg.de
Termine
Sa 3.5.2025, 20:00 | Ticket
So 4.5.2025, 19:00 | Ticket
Ort
Deutsches Theater Berlin
Schumannstraße 13a
D-10117 Berlin
von Georges Perec und Johann Wolfgang von Goethe
Aus dem Französischen von Eugen Helmlé
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg
1968 schrieb Georges Perec ein Hörspiel, in dem eine Maschine mithilfe von „Programmen“, die Zugriff auf Hintergrundinformationen, Zitate und die Funktionsweise von Sprache haben, Johann Wolfgang von Goethes berühmtes Naturgedicht analysieren soll. Dieses linguistische Experiment, das sich an der damaligen Vorstellung von der Arbeitsweise eines Computers orientiert, wird von Regisseurin Anita Vulesica in ein pseudo-futuristisches Bühnensetting verlegt. Unter einer „Instanz“ sitzen treppenartig angeordnet drei „Speicher“, die den absurden Anweisungen der unerbittlichen Kontrollinstanz folgen. Sie zählen Versfüße und Strophen, verändern und vertauschen die Reihenfolgen der Wörter und Buchstaben – und begehren nach und nach subtil auf. Brillant gespielt und von Vulesica humorvoll in Szene gesetzt, wird hier nicht nur die analytische Arbeitsweise künstlicher Intelligenz aufgezeigt, sondern auch die Funktionsweise von Poesie offenbart – für die es eben doch Menschliches und menschliche Fehlbarkeit braucht. Denn gerade, wenn sich die Speicher in der De- und Rekonstruktion des Gedichts verhaspeln, brilliert die Schönheit der Sprache mit ihren unendlichen Möglichkeiten.
Statement der Jury:
„Wandrers Nachtlied“: Für den französischen Autor Georges Perec (1936 – 1982) bildete Johann Wolfgang von Goethes wohl berühmtestes Gedicht 1968 die Grundlage für sein Hörspiel „Die Maschine“. Darin kommunizieren keine Menschen, sondern Schaltkreise, zerlegt eine Instanz, „Kontrolle“ genannt, den Text in seine Einzelteile. Vier menschliche „Speicher“ sortieren daraufhin Versfüße, vertauschen Substantive und verschlucken Buchstaben. Anita Vulesica bringt Perecs linguistisches Experiment mit sechs höchst virtuosen Darsteller*innen voll fiebriger Spiellust auf die Bühne. Dabei folgt die Regisseurin dem Versuch des Autors, die Welt zu systematisieren und zeigt zugleich, dass es in der Zerbrechlichkeit der Worte einen Zauber gibt, der sich jeder Definition entzieht. So entsteht ein Abend aus tanzenden Silben und über Sprache als Material, aber auch über Macht und Widerstand und über das Schweigen als politische Kraft. Ein irrwitziges Vergnügen, durchwoben von Pausen voll schwereloser Stille. Komisch, ernst, trashig und immer wieder in allen Wipfeln innehaltend.
Eine virtuelle Ruinenlandschaft
Performative Installation in Virtual Reality von DARUM
Eine Koproduktion von DARUM und brut Wien
Wie soll mit unserem digitalen Erbe umgegangen werden? In „[EOL]. End of Life“ lädt das Regie-Duo DARUM dazu ein, in dramaturgisch und technisch beeindruckenden virtuellen Realitäten über den Fortbestand eines fiktiven „Metaverse 1.0“ zu entscheiden.
In „[EOL]. End of Life“ beweisen Victoria Halper und Kai Krösche, dass ein limitierter Raum von 9,6 Quadratmetern zu einem unüberschaubaren Metaversum werden kann. Denn sobald die Teilnehmer*innen eine VR-Brille aufsetzen, werden sie von einem fiktiven Großkonzern in eine digitale Ruinenlandschaft geschickt, um dort zu entscheiden, welche Daten erhalten bleiben dürfen und was unwiederbringlich gelöscht werden soll. Dabei treffen sie unter anderem auf Echos vergangener Existenzen, die mittlerweile ein Eigenleben entwickelt haben. DARUM verwischen in ihrer technisch, ästhetisch und inhaltlich perfekt aufeinander abgestimmten Arbeit gekonnt die Grenzen der Wahrnehmung und konfrontieren die Teilnehmer*innen mit der Frage, welche Spuren ein Menschenleben hinterlässt und wer über das eigene digitale Erbe einmal bestimmen wird.
Statement der Jury:
Die virtuelle Realität ist am Theater angekommen, auch wenn die beiden oftmals noch miteinander fremdeln. Die VR-Erfahrung des Duos DARUM (Victoria Halper und Kai Krösche) macht digitale Welten selbst zum Thema, konkret die Überreste unserer täglichen Interaktionen im Netz: Erinnerungen an Vergängliches, die selbst nicht verblassen. Wie viele solche Datenhaufen verträgt das Netz? Tragen wir ihnen gegenüber eine Verantwortung? Können wir sie gar – lieben? Wer eine VR-Brille aufsetzt, erhält 9,6 m² Fläche und den Auftrag der Firma IRL (Imaginary Reality Landscapes), digitale Ruinen zu prüfen, auf die lange niemand zugegriffen hat. Es gilt zu entscheiden, was endgültig gelöscht und was ins Metaversum übernommen werden soll. Doch dann nimmt das Virtuelle die Prüfenden in Geiselhaft, und es entspinnt sich eine tief berührende Geschichte, die unser Verhältnis zum digitalen Erbe auf die Probe stellt und neue Maßstäbe virtuellen Erzählens setzt. Ist das noch oder schon Theater?
Regie und Story: Victoria Halper & Kai Krösche (DARUM)
Uraufführung: 26.9.2024 (brut Wien)
Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7) und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport
darum.at | brut-wien.at
Termine
Do 8.5.2025, 10:00 - 19:00 | Ticket
Fr 9.5.2025, 12:00 - 19:00 | Ticket
Sa 10.5.2025, 10:00 - 19:00 | Ticketund weitere Termine
So 11.5.2025, 10:00 - 19:00 | Ticket
Mo 12.5.2025, 12:00 - 19:00 | Ticket
Mi 14.5.2025, 12:00 - 19:00 | Ticket
Do 15.5.2025, 12:00 - 19:00 | Ticket
Fr 16.5.2025, 12:00 - 19:00 | Ticket
Sa 17.5.2025, 10:00 - 19:00 | Ticket
So 18.5.2025, 10:00 - 19:00 | Ticket
Ort
Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
D-10963 Berlin
Opernperformance von Florentina Holzinger mit Paul Hindemiths Oper „Sancta Susanna“, geistlichen Werken und Neukompositionen von Johanna Doderer, Born in Flamez, Stefan Schneider u. a.
Eine Produktion von Florentina Holzinger/Spirit, neon lobster, dem Mecklenburgischen Staatstheater und der Staatsoper Stuttgart in Koproduktion mit den Wiener Festwochen | Freie Republik Wien und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin (in Kooperation mit der Komischen Oper Berlin), Opera Ballet Vlaanderen, Julidans und Theater Rotterdam.
Florentina Holzingers erste Opernperformance „SANCTA“ setzt sich mit den patriarchalen Strukturen der Kirche auseinander. Nachdem die Solistinnen und der Chor in Nonnenkostümen die expressive Hindemith-Oper auf die Bühne gebracht haben, entwickelt sich ein lustvoller Parallelentwurf zu einem Gottesdienst: Hier wird die Sixtinische Kapelle zur Kletterwand, Gott zum Roboter und die Oper zum Rockmusical. Auf der Suche nach Transzendenz verdrehen Körperkünstlerinnen* die religiösen Topoi von Kreuzigungswunden, Penetration, Kannibalismus und Transformation, und Show-Magierinnen* zeigen ihre Interpretationen der biblischen Wunder. Statt Disziplinierung und sexueller Züchtigung werden Selbstermächtigung und sinnlicher Lust gehuldigt, statt Susanna als Sünderin zu verurteilen, wird sich mit ihr solidarisiert. Die heilige Messe wird zum Spektakel und realem Möglichkeitsraum, in dem religiöse Konventionen herausgefordert werden in dem Versuch, sie gleichzeitig zu erneuern.
Statement der Jury:
Steckt nicht in jeder Messe auch ein bisschen Zauberei? Wird dort nicht Brot in Fleisch, Wein in Blut verwandelt? Florentina Holzinger nutzt Paul Hindemiths Kurzoper „Sancta Susanna“ über das sexuelle Erweckungserlebnis einer Nonne als Startrampe für ihre mitreißende Version eines katholischen Gottesdienstes. Schon der Auftakt mit zwei fistenden Frauen zwischen Kreuz und Boulderwand legt den Grundkontrast des Abends dar: In der Oper die Insignien der Kirche zu Opfer, Schuld und Autorität, in Holzingers körperlicher Auslegung tabuloser Sex, Überschreitung und Schamlosigkeit. Ihre queerfeministische Truppe überschreibt sakrale Bilder und interpretiert biblische Szenen als körperliche Grenzerfahrungen. Während halbnackte Nonnen über eine Halfpipe skaten, rotiert eine Päpstin, tut eine Zauberin Wunder, kumpelt ein*e Landstreicher*in namens Jesus das Publikum an. Auch die Transsubstantiation wird hier ganz konkret als Spielart der Body Suspension exerziert. Doch die Verkehrungsorgie will am Ende mehr als Kink und Provokation und reicht allen im Publikum die Hände mit ihrer Message: „Don’t dream it, be it!“
Regie, Choreografie und Performance: Florentina Holzinger
Premiere: 30.5.2024 (Mecklenburgisches Staatstheater)
Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ammodo, Kulturabteilung der Stadt Wien.
mecklenburgisches-staatstheater.de | staatstheater-stuttgart.de | volksbuehne.berlin
Termine
Do 8.5.2025, 19:00 | Ticket
Fr 9.5.2025, 19:00 | Ticket
Sa 10.5.2025, 15:00 | Ticket
von Bertolt Brecht / eine Fortschreibung von Björn SC Deigner
Residenztheater (Bayerisches Staatsschauspiel)
Die pazifistische Frau Carrar ist überzeugt, ihre Söhne vor der Gewalt im Spanischen Bürgerkrieg bewahren zu können, indem sie ihnen verbietet, sich dem Kampf gegen Franco und die Faschisten anzuschließen. Doch ein tödliches Ereignis bewegt sie dazu, selbst zu den Waffen zu greifen. Statt Brechts Wunsch nachzukommen, das 1937 entstandene, erschütternd im Heute widerhallende Werk gemeinsam mit einem Dokumentarfilm zu zeigen, entwickelt Luise Voigt seine Verfremdungsidee weiter. Sie versetzt „Die Gewehre der Frau Carrar“ in das Setting eines 1930er-Jahre-Spielfilms, arbeitet mit ausgeklügelten akustischen und visuellen Effekten – und lässt alles zusammenkrachen. In der Fortschreibung „Würgendes Blei“ von Björn SC Deigner, der Theater als Ort des Verhandelns, der Forderung und der Aufforderung denkt, stehen die konkreten Konsequenzen für diejenigen, die in den Krieg ziehen, im Zentrum. Aus der Kombination der beiden Teile ergibt sich ein konzentrierter, wie eine Partitur angelegter Abend, der fragt, ob neutrale Enthaltung im Angesicht eines gewaltsamen Angriffs überhaupt möglich ist.
Statement der Jury:
Bringen Waffen Frieden oder nur weiteren Krieg? Bertolt Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“, 1937 von deutschen Geflüchteten in Paris uraufgeführt, ist das Stück der Stunde. Frau Carrar will ihre Söhne vor dem Tod bewahren und vertritt deshalb zunächst rigoros eine pazifistische Haltung. Das selten aufgeführte Werk über den Spanischen Bürgerkrieg trifft heute wie ein Hammerschlag. Luise Voigt inszeniert es in der Ästhetik eines 1930er-Jahre-Spielfilms: Das Bühnenbild flimmert, der Ton knistert und knackt, die Landschaft vor dem Fenster wirkt expressionistisch wie ein Scherenschnitt. Danach beginnt Björn SC Deigners „Würgendes Blei“ auf den Ruinen der Vergangenheit – als Stück für Frau Carrar, ein Lindenblatt, ein Maschinengewehr und einen Chor, als Messe der Wiederkehr des immergleichen Grauens im Krieg. Wie herauskommen aus dem Teufelskreis?
nach dem Roman von Dinçer Güçyeter
in einer Bearbeitung von Hakan Savaş Mican
Maxim Gorki Theater
Auf Grundlage des Romans von Dinçer Güçyeter, der 2023 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, verschafft Regisseur Hakan Savaş Mican jenen Gehör, deren Stimmen in Deutschland lange ignoriert wurden. In seiner Bühnenadaption von „Unser Deutschlandmärchen“ findet er präzise Theatermittel, die die Vielschichtigkeit der Beziehung einer von Arbeit geprägten Mutter und ihrem kunstaffinen Sohn, großartig gespielt von Sesede Terziyan und Taner Şahintürk, greifbar macht und sowohl gesellschaftliche als auch familiäre Erwartungen auslotet. In ihrer Suche nach Identität, Sprache und dem eigenen Platz in der Welt werden die beiden von der virtuosen Band um Peer Neumann unterstützt, wenn ihnen die Worte fehlen. Jenseits von Klischees, mit viel Humor und Feingefühl zeigen Mican und sein Ensemble Fatmas und Dinçers Familiengeschichte und stellen die Verhältnisse infrage, die ihre Beziehung prägen.
Statement der Jury:
Konnte Fatma jemals tanzen, auf hohen Absätzen einherschweben, Spaß beim Sex haben? Oder war sie ihr ganzes Leben „schweigende Ehefrau, sich aufopfernde Mutter, funktionierende Fabrikarbeiterin“? Und was erwartet sie von ihrem Sohn? Dinçer trauert gleich zu Beginn um die nicht gelebte Seite seiner Mutter. Hakan Savaş Mican, der sich immer wieder mit Generationskonflikten türkischer Eingewanderter und ihren lange unerzählten Biografien auseinandersetzt, gelingt mit der Bühnenadaption von Dinçer Güçyeters autofiktionalem Romandebüt ein so feinfühliges wie würdevolles Mutter-Sohn-Porträt für zwei herausragende Schauspieler*innen. Sesede Terziyan als immer wieder gedemütigte und im Durchhalten verhärtende Mutter und Taner Şahintürk als ihre Erwartungen unterlaufender Künstlersohn füllen ihre Figuren mit Lebenslust und Schlagfertigkeit, spielen mit trockenem Witz und zum Heulen innig zwei Menschen, die sich trotz aller Entfremdung verbunden bleiben. Auch die geschmeidig ins Bühnengeschehen integrierte Band um Peer Neumann hilft beiden mit Songs von Sezen Aksu bis Sisters of Mercy, das Schweigen zu überwinden.
Regie: Hakan Savaş Mican
Uraufführung: 6.4.2024
gorki.de
Termine
Sa 10.5.2025, 19:30 | Ticket
So 11.5.2025, 19:30 | Ticket
Mo 12.5.2025, 19:30 | Ticket
Ort
Maxim Gorki Theater
Am Festungsgraben 2
D-10117 Berlin
Eine neue Begegnung mit „Kontakthof“: Ein Stück von Pina Bausch (1978)
Eine Produktion von Sadler’s Wells, Pina Bausch Foundation und Tanztheater Wuppertal Pina Bausch.
Schon bei der Uraufführung von „Kontakthof“ im Jahr 1978 hatte Pina Bausch die Idee, die Inszenierung Jahrzehnte später mit der gleichen Besetzung noch einmal aufzuführen. Diesem Wunsch kommt nun Meryl Tankard nach, die mit acht Kolleg*innen von damals in einen Dialog mit der Vergangenheit tritt.
Rolf Borziks Aufführungsaufzeichnung inspirierte die Choreografin, Regisseurin, Tänzerin und Videokünstlerin Meryl Tankard, Pina Bauschs Tanzstück mit Kultstatus um eine cineastische Ebene zu erweitern. Dazu kürzte sie das unbearbeitete Videomaterial, ohne die Essenz des Werks und Bauschs Intentionen einzuschränken, und lud Tänzer*innen der Originalbesetzung ein, mittels der Projektion mit ihrem jüngeren Selbst, miteinander und mit abwesenden Kolleg*innen in einen Dialog zu treten. Ein emotionaler Abend, der Bauschs prägendes Tanztheater in der Gegenwart verortet und die entstandenen Lücken im Ensemble nicht ignoriert, sondern die Abwesenheit früherer Wegbegleiter*innen schmerzlich spürbar macht und Verlust und Altern berührend verhandelt.
Statement der Jury:
Pina Bauschs 1978 uraufgeführtes Stück „Kontakthof“ gehört zu den legendären, beinahe kultisch verehrten Werken, mit denen sie damals das Tanztheater revolutioniert hat. Vor diesem übermächtigen Hintergrund wirkt Meryl Tankards 46 Jahre später entstandene Appropriation auf den ersten Blick wie eine Arbeit, die Pina Bausch ein Denkmal setzen will. Doch dieser Eindruck täuscht. Tankard gehörte 1978 zur „Kontakthof“-Originalbesetzung und tanzt nun mit acht weiteren Mitgliedern der damaligen Kompanie noch einmal Teile der Choreografie. Sie kombiniert Aufnahmen von historischen „Kontakthof“-Mitschnitten mit den Bewegungen der gealterten Tänzer*innen. So entsteht ein komplexer und magischer Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, der sich allen Einordnungen konsequent entzieht.
Konzeption und Inszenierung: Meryl Tankard
Uraufführung: 26.11.2024 (Opernhaus Wuppertal)
Sie wird koproduziert mit Amare (Den Haag), LAC Lugano Arte e Cultura, Festspielhaus St. Pölten, Seongnam Arts Center und China Shanghai International Arts Festival und wird als Beitrag zur Vorbereitung des Pina Bausch Zentrums aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Wuppertal gefördert.
pinabausch.org
Termine
Di 13.5.2025, 20:00 | Ticket
Mi 14.5.2025, 20:00 | Ticket
Do 15.5.2025, 16:00 | Ticket
Ort
Haus der Berliner Festspiele
Große Bühne Schaperstraße 24
D-10719 Berlin
Können Verletzungen durch ihre freiwillige Wiederholung geheilt werden? Ersan Mondtag verwebt in „Double Serpent“ Sexualität und Traumata zu einem bildgewaltigen, surrealen Thriller, in dem Gewalt niemals gezeigt wird und dennoch omnipräsent ist.
Fesseln, Schnitte und Schläge sind Teil von Connor und Felix’ Liebesleben. Als Felix von einem Ex-Partner des Missbrauchs beschuldigt wird, wird Connor in seine Kindheit zurückversetzt. Die Erinnerung an traumatische Erlebnisse wird wieder lebendig: ein junger Connor im feuchten Keller, isoliert, den illegalen Machenschaften des organhandelnden Stiefvaters lauschend. In einem grünlich-schummrig ausgeleuchteten Gespensterhaus nimmt ein ins Mark gehender Thriller seinen Lauf. Fast körperlos bewegen sich die Schauspieler in der horror-esken Welt der Inszenierung, in der die unterschiedlichen Zeitebenen fließend ineinander übergehen. Ersan Mondtag und sein Team erzeugen mit Sprache, Sound, Licht und eindrücklichen Bildern eine spannungsgeladene Atmosphäre, in der die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie, Einvernehmen und Zwang verschwimmen.
Statement der Jury:
Dieses Stück ist für Ersan Mondtags albtraumhafte Theatersprache wie geschaffen. Sinn setzt sich in dem Text von Dramatiker*in Sam Max aus New York wie ein Puzzle zusammen, in dem erst am Ende alle Teile ihren Platz finden. In Mondtags Inszenierung agieren stilisierte Kunstfiguren, deren Schalen nach und nach aufbrechen. Biografisches tritt zum Vorschein, Zeit- und Realitätsebenen werden zuordenbarer. Dafür verunklaren sich die Machtverhältnisse. Sieht man auf Alexander Naumanns Fantasie-Jugendstil-Bühne einer einvernehmlichen schwulen BDSM-Beziehung oder sexuellem Missbrauch zu?
Der junge Connor ist das Zentrum faszinierender Loops aus Licht, Sound und Slow-Motion, in denen Gewalt omnipräsent ist. Sie wird aber selbst in den computeranimierten Videos von Luis August Krawen nie gezeigt. Voyeurist*innen können einpacken: Dieses Gesamtkunstwerk ist auf seine ganz eigene, fast zeremonielle Art verstörend und entwickelt einen hypnotischen Sog.
Die 10 bemerkenswertesten Inszenierungen werden jedes Jahr von einer Kritiker*innenjury aus bis zu 600 Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum innerhalb des Sichtungszeitraums ausgewählt und zum Theatertreffen eingeladen. Initiativbewerbungen sind nicht möglich, da die Jury unabhängig entscheidet, welche Produktionen sie besucht und gegebenenfalls für eine Einladung zum Theatertreffen nominiert.
Die zum Theatertreffen 2025 eingeladenen Inszenierungen verhandeln unsere herausfordernde Gegenwart mit verschiedensten ästhetischen Mitteln und Inhalten, allesamt sind sie das Abbild einer verunsichernden Zeit.
Die ausgewählten Inszenierungen werden im Mai im Haus der Berliner Festspiele und an anderen Orten der Stadt gezeigt. Sie werden von Nachtgesprächen mit Publikum begleitet.
Seit der Gründung des Theatertreffens 1964 – damals noch „Berliner Theaterwettbewerb“ – stellen diese zehn Inszenierungen das Zentrum des Theatertreffens dar, und eine Einladung zum Theatertreffen ist für die entsprechenden Produktionsteams mit überregionaler Anerkennung verbunden.
Mit der Festivalausgabe 2020 führte das Theatertreffen eine Frauenquote von mindestens 50 Prozent in der Regieposition der 10 bemerkenswertesten Inszenierungen ein. Diese Regelung gilt vorerst bis einschließlich 2026.
Kontakt
Haus der Berliner Festspiele
Schaperstraße 24
D-10719 Berlin